Eröffnungsrede der Abschlussausstellung
des Otmar Alt Stipendiums 2016
Opening speech for the final exhibition at the Otmar Alt Foundation
Text: Daniela Weise, Kunsthistorikerin
Vernissage Katharina Meister am 20.11.2016
„Kunst, die man erklären muss, ist langweilig“ sagt Otmar Alt und spielt damit auf einen wichtigen Aspekt der Kunst an.
Nämlich die Freiheit der Kunst. Künstlerisches Handeln ist somit zunächst einmal ein Handeln aus Freiheit. Die Kunst an sich ist nicht zwangsläufig an einen bestimmten Zweck gebunden, sie ist nicht an Bedingungen geknüpft und unterliegt nicht dem Anspruch, eine bestimmte Erwartungshaltung zu erfüllen.
Gleichzeitig ist es jedoch so, dass Kunst immer auch eine Kommunikationsform darstellt.
Da ist auf der einen Seite der Künstler, der das Kunstwerk erschafft. Und auch wenn es Künstler gibt, die sich frei und unverzweckt in einen Schaffensprozess fallen lassen, so gibt und gab es immer auch diejenigen Künstler, die in Ihren Werken Botschaften transportieren, Veränderungen anregen oder Kritik an bestehenden Verhältnissen äußern.
Als Ergebnis eines künstlerischen Schaffensprozesses tritt das Kunstwerk zudem auch immer in einen Dialog mit dem Betrachter. Es löst Assoziationen aus, fasziniert durch seine Schönheit, schreckt uns Mitunter ab und kann auch zum Nachdenken anregen.
So bietet sich die Kunst in ihrer Freiheit und Vielfältigkeit gleichsam also, wie kein anderes Medium zur zwischenmenschlichen Kommunikation an.
Denkt man nun einen Schritt weiter, wird deutlich, dass durch eine Verbindung von Kunst und Wissenschaft der Künstler nicht etwa „unfrei“ wird, sondern vielmehr ganz neue Möglichkeiten, eine ganz neue Form der Freiheit - „zwischen den Schubladen“ – für sich nutzen kann.
Hier kommen wir zum Begriff der Klimakunst, in die Katharina Meister ihr Schaffen einordnet.
Sie verbindet die verschiedenen Bereiche der Naturwissenschaft, Politik, Philosophie, Religion und Kunst zu einer ganz eigenen Kategorie und hat dabei hat ein konkretes Anliegen: Sie möchte die Menschen sensibel machen für sich, ihre Umwelt, unseren Planeten, zum Nachdenken anregen und vielleicht auch Veränderungen anstoßen.
Die Botschaft stellt also einen wichtigen Aspekt Ihres künstlerischen Schaffens dar.
Zum einen dient ihr die Kunst also als ein Medium, denn sie vermag es, wie keine andere Disziplin, den Betrachter und das Gegenüber auf vielen Ebenen zu erreichen.
Begünstigt durch die Emotionalität der Kunst und bei Katharina auch durch die Ästhetik der Werke, ihre Tiefe und offensichtliche Komplexität findet ein Austausch zwischen den beiden Parteien Künstler und Betrachter statt.
Das Kunstwerk als Mittel der Kommunikation erreicht sein Gegenüber dabei zunächst durch seine bloße Erscheinung, seine Ästhetik, seinen Aufbau, die Farbzusammenstellung, die Komplexität und das Filigrane seiner Ausführung. Darüber hinaus kann es aber auch Türen öffnen und zum Nachdenken einladen und so den Zugang zu Themen und Problematiken erleichtern, zu denen wir sonst oftmals keinen Zugang finden.
Die Kunst bei Katharina jedoch nur als Sprachrohr oder Medium zu betrachten würde ihrem Werk nicht gerecht werden
Wenn auch eine Botschaft, eine Idee, ein sich Auseinandersetzen mit den Gegebenheiten unserer heutigen Welt den Ausgangspunkt ihrer Arbeiten bildet, so verlässt sie während des tatsächlichen Schaffensprozesses die sachlichen, mitunter ausgetretenen Pfade der Wissenschaft und lässt sich ein auf ein freies Spiel mit Papier, Pappe, Schere, Zeichnung, Holz usw.
So entwickeln ihre Botschaften und Fragestellungen im Entstehungsprozess der konkreten Arbeit immer auch ein „Eigenleben“ und die gezeigten Werke sind schließlich das Ergebnis eines Zusammenspiels von wissenschaftlicher Basis und freiem künstlerischen Tun.
Es ist kein Zufall, dass Katharina Meister die aktuelle Ausstellung „Element 119 De“ nennt und schon mit diesem Titel zum Nachdenken anregt. In den gezeigten Werken beschäftigt sie sich mit zentralen Themen unserer Gesellschaft wie z.B. dem Klimawandel oder der Flüchtlingskrise und verarbeitet diese dabei auf eine ganz eigene, freie und individuelle Weise mit den Mitteln der Kunst.
Ein gutes Beispiel für die Komplexität von Katharinas Schaffen stellt das Werk „Ich unter den Füßen“ dar:
In dem Schaukasten sieht man einen großen Eisblock. Aus diesem hat sich ein kleines Eiselement herausgelöst. Dieses Eiselement wurde an einer Schnur locker aufgehängt, so dass es sich bewegen kann. Diese Beweglichkeit des kleinen Eisblocks soll Freiheit symbolisieren, es steht da ganz allein, man kann es als etwas Einzelnes genau erkennen. Im großen Eisblock verschwimmen die einzelnen Elemente zu einem ganzen, das Einzelne fügt sich in das große Gebilde ein und ist nicht mehr als „das Einzelne zu erkennen“. Würde es aber zu einer Erwärmung der Umgebung kommen sind die einzelnen Elemente in dem großen Eisblock viel geschützter, während das alleinstehende Element viel schneller schmelzen würde.
Die Arbeit heißt „Ich unter den Füßen“. Der Titel ist ein Teil eines Zitats von Papst Johannes dem XIII, welches vollständig lautet:
„Solange jemand sein Ich nicht unter seine Füßen gestellt hat, ist er nicht frei.“
In diesem Zitat und in der Arbeit geht es also um das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Eingliederung in ein großes Ganzes. Ich habe mich gefragt, warum es dem Einzelnen, oder auch ganzen Ländern, wie man jetzt am Brexit erkennt, oft so schwer fällt sich als Teil eines großen Ganzen zu erkennen, oder dies sein zu wollen. Ich glaube, dass ein Grund die Angst vor dem Verlust der eigenen Freiheit und damit auch Angst vor dem Verlust von Macht sein könnte. Gliedert man sich in etwas ein, übernimmt man zwangsläufig Verantwortung und erkennt Regeln an – und die scheinen vielleicht im ersten Moment Unfreiheit mit sich zu bringen. Der Kunstwissenschaftler Thomas Lehnerer hat einmal versucht dies zu wiederlegen. Er hat gesagt, dass wahre Freiheit nur innerhalb von Regeln entstehen kann und hat dies anhand des Fußballspiels zu veranschaulichen versucht.
Das Fußballspiel hat klare Regeln an die sich jeder haltenmuss. Klingt also erst einmal nicht nach Freiheit, sondern nach Eingrenzung. Er sagt dann aber weiter, dass kein Spiel dem anderen gleicht, sondern jedes Spiel etwas ganz einzigartiges ist, in dem jeder Spieler jeder Mannschaft immer wieder ganz neu agierend ein neues Ergebnis erzielt. Die Spieler handeln also innerhalb von Grenzen neu, auf eine Weise wie sie nie zuvor dagewesen ist und nicht wiederholt werden kann. Gebe es diese Spielregeln nicht, nicht die Begrenzung des Spielfeldes, würde das Spiel wohl über kurz oder lang ausarten, oder eingestellt werden, weil gar kein Spielen möglich wäre auf Grund von Meinungsverschiedenheiten oder ähnlichem. Ähnlich verstehe ich das Zitat von Papst Johannes. Solange man sein Ich nicht unter seine Füße gestellt hat, also anerkennt, dass es etwas größeres gibt als das selbst, ist man nicht frei. Wir Menschen glauben zwar, dass wir derzeit in größt möglicher Freiheit leben, wir erkennen aber eine ganz bedeutende Grenze nicht an und das sind die Grenzen, die uns dieser Erdball vorgibt. Wir streben nach immer mehr Wachstum, dies kann aber auf einem begrenzten Raum nicht immer möglich sein. Dieses nicht achten dieser banalen Regeln, dass unser Lebensraum begrenzt ist, bringt uns in die größte Unfreiheit die wir je gehabt haben. Wir lösen mit Streben nach Wachstum Kriege und Terror aus und jetzt zerstören wir auch unsere Lebensgrundlage, diesen Erdball und damit auf Dauer uns selbst – Ist das Freiheit? Es fühlt sich nicht nach Freiheit an, wenn man in ständiger Angst lebt! Würden wir uns als Teil des Ganzen erkennen und die Grenzen akzeptieren, dann wäre wir viel freier, denn wir würden nicht nur unser Fortbestehen sichern, sondern auch unsere Lebensqualität erhöhen, wenn Krieg und Terror auf Grund von fehlendem Machtstreben nutzlos geworden wären.
Dann nochmal kurze Zusammenfassung:
Kunst bedeutet Freiheit, sowohl in der Entstehung, als auch in der Interpretation.
Gleichzeitig aber kann sich der Künstler durchaus auch die Freiheit nehmen, durch die Kunst Botschaften zu transportieren und für ihn wichtige Themen frei und individuell zu verarbeiten.
Der Betrachter wiederum hat dann die Freiheit, die Kunst für sich so zu interpretieren, wie er es möchte. Bezogen auf Katharinas Werke reicht die Spannbreite hier von einem Bewundern der Ästhetik, einem Hineintauchen in die meist dreidimensional angelegten Werke bis hin zu einer durch das Kunstwerk angeregten intensiveren Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt.